Wozu müssen Märchen neu erzählt werden, warum entwirrt? Dazu lesen wir im Vorwort des Buches…..
„Wie aus einem kaltblütigen Lüstling ein warmherziger Partner und Liebhaber wird, wie Frauen und Mütter sich für ihre Männer und Kinder abrackern, um nachher doch nur als böse Hexen abgetan zu werden, im »Jenseits« aber angemessen entschädigt werden, wie ein Sohn, der seinem Vater nicht paßt, sich tapfer durchs Leben schlägt und durch Liebe erlöst wird, wie man sich auf den Lebensabend, trotz mancher Altersbeschwerden, doch freuen kann, wieviele Tränen fließen müssen, wenn zwei Frauen um ein und denselben Mann sich in den Haaren liegen, und wie ein armer Student die Welt verändern möchte, als reicher Mann es aber ganz und gar vergißt, davon und nebenbei auch noch von anderen menschlich-allzumenschlichen Problemen handeln die hier vorgelegten Neuerzählungen bekannter Märchen der Brüder Grimm. Der Reiz der Neuerzählungen liegt im Subjektwechsel. Dadurch, daß die Märchen nicht durch einen Erzähler von außen, sondern von innen durch eine im Märchen handelnde Person erzählt werden, verändern sich die Perspektiven. Es kommt zu Vertiefungen der Grundaussagen, wie z. B. bei »Hans mein Igel« und den »Bremer Stadtmusikanten«, es kommt aber auch zu direkten Verkehrungen, wie bei »Schneewittchen«, »Rapunzel« und »Hänsel und Gretel«. Dabei sollen die Märchen nicht persifliert oder karikiert werden. Es handelt sich vielmehr um eine Art Kaleidoskopspiel mit den Märchen. Klopft man mit dem Finger auf das Kaleidoskop, verschieben sich die bunten Teilchen, und es ergibt ein neues Bild. Das alte ist ja nicht vergessen, und seine Wahrheit mag gut aufgehoben sein; nun kann man sich ins Neue vertiefen. Gerade wer die ursprünglichen Märchen gut kennt, wird Spaß haben an der Veränderung der Konstellation….. Erzählt die Hexe selber aus ihrem Blickwinkel, erscheint sie gar nicht mehr so auf das Böse fixiert oder gar mit ihm identifiziert, wie der Held des Märchens sie erfährt und wie es der Erzähler seinen Zuhörern suggeriert. Auch lebt die Nixe, aus der Nähe und unter Wasser betrachtet, nicht aus Lust am Zerstören, wie die Leute oben außerhalb des Teiches meinen; sie mag halt nicht einsam sein. Daß den von der Öffentlichkeit und herrschenden Meinung als »böse« oder »bedrohlich« Abgestempelten Gerechtigkeit widerfahre, indem man lernt, sich in sie hineinzuversetzen, ist nur eine Absicht der Neuerzählungen. Im ganzen werben sie um ein menschliches Herz für menschliche Schwächen im Wirrwarr menschlichen Miteinanders.“