„Die Odyssee, vor nahezu dreitausend Jahren im griechischen Kleinasien entstanden, ist zusammen mit Homers Ilias die älteste unversehrt überlieferte Dichtung der Weltliteratur. Ein Werk, das auch dem heutigen Leser noch unmittelbar verständlich bleibt und das dennoch als geschlossenes Kunstwerk aus dem Beginn der Zeiten nach wie vor Rätsel aufgibt. Uvo Hölscher versteht das Epos von Odysseus in seinem Buch als Produkt eines Übergangs, der die vorliterarische Form des Märchens hinüberführt in die Kunstform der Literatur. Eingehend widmet sich der Autor diesen Entwicklungen des 8. Jahrhunderts, wobei er sich auch neuerer Erkenntnisse der angrenzenden Nachbardisziplinen bedient. Erstmalig tritt mit dem homerischen Epos eine groß angelegte Erzählform auf, die aus kürzeren Stammesgeschichten zur Darstellung eines Weltganzen wird. Sie wurde damit zum Ausdruck eines neuen pan-hellenischen Gemeinschaftsgefühls. Hölscher zeigt, daß der Odysseedichter sein Werk im Ganzen wie in seinen Teilen aus der Grundform eines überlieferten Märchens entwickelt. Auf der anderen Seite legt Hölscher dar, wie Form und Stoff der Odyssee bereits auf den hellenistischen und neuzeitlichen Roman vorausweisen. In dieser Doppelperspektive erschließen sich auch die Besonderheiten der Odyssee: das Raumdenken der Frühzeit, der neue Sinn für Milieu und Landschaft die Dimension des Seelischen und die Thematik von Schicksal und Lebenslauf. Allesamt bezeugen sie die Handschrift eines Dichters. Die vorgestellten zeitgenössischen und gesellschaftlichen Umstände erlauben hierbei einen überraschend neuen Blick auf die Intention der Dichtung. Hölscher wendet sich mit seinem Buch, das er als Vertiefung der Lektüre der Odyssee versteht, an alle literarisch interessierten Leser. Darüber hinaus verpflichtet er seine Fachwissenschaft und die angrenzenden Nachbardisziplinen auf einen neuen Diskussionsstand zur Entstehung des Epos.“
[dies ist der Klappentext des Schutzumschlages, der auf der Innenseite des vorderen und hinteren Buchdeckels mit eingeklebt ist]
Uvo Hölscher, 1914 in Halle an der Saale geboren, studierte zunächst ab 1932 in Tübingen und München Naturwissenschaften und Kulturwissenschaft, dann in Frankfurt/Main Klassische Philologie. Er promovierte 1937 und wurde am nächsten Tag zur Wehrmacht einberufen. Die Habilitation erfolgte 1944 während eines kurzen Urlaubs in Hamburg. Seine Kriegsgefangenschaft verbrachte er aufgrund eines gescheiterten Fluchtversuches unter erschwerten Bedingungen. Nach seiner Entlassung 1946 setzte er seine wissenschaftliche Karriere in München fort. Nach einem England-Aufenthalt wurde Hölscher 1954 als Professor an die Freie Universität Berlin berufen und 1962 nach Heidelberg. Ab 1970 war er wieder Professor in München. Hölschers Werk galt der frühen griechischen Dichtung (insbesondere Homer) und der Philosophie der Vorsokratiker. Sein bekanntestes Buch ist eine Legitimation der Altphilologie: „Die Chance des Unbehagens – Zur Situation der klassischen Studien“ (1965), sein bedeutendstes „Die Odyssee – Epos zwischen Märchen und Roman“ (1988). Hölscher war von 1969 bis 1971 ordentliches Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften und von 1978 bis 1990 Präsident der Hölderlin-Gesellschaft. Uvo Hölscher starb 1996 in München.¹